Interview mit Lady Bitch Ray
Ich bin `ne Bitch
FLUCHEN UND DAS WEIBLICHE GESCHLECHT
Wie und warum fluchen Künstlerinnen in einem maskulin geprägten Musik-Genre? Auch Künstlerinnen präsentieren uns regelmäßig, wie wortgewandt sie mit Beleidigungen, Beschimpfungen und Kraftausdrücken umgehen können. Vor allem in Hinblick auf die sehr maskulin geprägten Genre des Raps und Hip Hops stellt sich die Frage, wie sich Künstlerinnen gegenüber ihren männlichen Kollegen behaupten und wie sie sich die Sprache zu eigen machen.
Wir haben für Euch ein Videointerview mit Dr.in Reyhan Şahin alias Lady Bitch Ray zum Thema, wie sie ihre Frau in einer von Männern dominierten Welt steht und welche Rolle die gewählte Sprache spielt.
Bild:
Carlos Fernandez Laser
Lady Bitch Ray
Dr. Reyhan Şahin, vielen auch bekannt unter dem Rap-Künstler*innennamen „Lady Bitch Ray“, ist unter anderem als Wissenschaftlerin, Autorin, politische Aktivistin, Bildungsreferentin und Rapperin tätig. Sie studierte Allgemeine Sprachwissenschaften, Germanistik und Erziehungswissenschaften in Bremen und promovierte 2012 im Fach Linguistik/Language Science zum Bedeutungssystem des muslimischen Kopftuchs in Deutschland. Ihre Dissertation wurde 2013 mit dem Deutschen Studienpreis ausgezeichnet.
Derzeit forscht sie in den Themengebieten Neue Rechte, Rassismus, Antisemitismus, antimuslimischer Rassismus, Intersektionalität und Gender. Seither hat sie auch nebenher Hip Hop-Forschung durchgeführt.
Reyhan Şahin kann mit ihrer sehr frühen künstlerischen Arbeit als Pionierin im Bereich (queer)feministischer Intersektionalität und insbesondere im Hip Hop-Feminismus in Deutschland betrachtet werden. Anlehnend an US-amerikanische Künstlerinnen wie z.B. Missy Elliott und Lil‘ Kim war sie die Erste, die den Begriff „Bitch“ positiv umdeutend in den Deutschrap eingeführt hat.
Dr.in Reyhan Şahin aka Lady Bitch Ray spricht über weiblichen Hip-Hop und wie Künstlerinnen in einem männlich dominierten Musik-Genre ihre Frau stehen.
Ist die Verwendung von Schimpfwörtern im weiblichen Hip-Hop ein Zeichen der Gleichstellung mit den männlichen Kollegen oder noch mehr ein Zeichen des noch größeren Tabubruchs?
Es muss nicht unbedingt geflucht werden oder (s)explizite Sprache gebraucht, um Emanzipation oder Sexismuskritik an Rap zu üben, es gibt auch gemäßigtere Formen. Wenn man den Deutschrap anschaut, sieht man auch Rapper*innen (und Rapper), die in ihren Songs keine vulgäre oder sexualisierte Sprache verwenden.
Ich persönlich finde jedoch, dass Sprache gerade im Rap als eine Art Ventil fungiert, mit dem man sich, im wahrsten Sinne des Wortes verbal „auskotzen“ kann; so ist es üblich sexualisierte oder vulgäre Sprache zu benutzen. Zudem ist es auch normal, sich in einem patriarchalischen, cis männlich dominierten Milieu diesem Umfeld anzupassen. „Anzupassen“ klingt jetzt vielleicht etwas blöd, aber es gehört irgendwie auch dazu, im Rap zu schimpfen oder offen über Sex zu sprechen, so wie es Schwarze US-amerikanische Pionierinnen des Rap, wie z.B. Missy Elliott oder Lil‘ Kim, uns bereits in den 1990er Jahren vorgemacht haben.
Letztendlich sollte man aber dennoch nicht vergessen, dass es (leider heute immer noch) ein Tabubruch ist, wenn Frauen öffentlich über Sex sprechen und/oder vulgärsprachlich schimpfen, auch wenn sich diesbezüglich einiges zum Besseren geändert hat – im Vergleich zu der Zeit vor 20 Jahren.
Warum hast du in deinem Oeuvre/deiner Kunst Flüche und Schimpfwörter eingesetzt? (z.B. bei Ich bin ´ne Bitch usw.)
Die eigentliche Frage dabei ist doch eher, zu schauen WIE eine (s)explizite Sprache und VON WEM mit WELCHER INTENTION eingesetzt wird?
In meinem Fall war es eine Woman of Color, eine marginalisierte Frau alevitischer Herkunft aus der Türkei, die sich von unten kommend mit emanzipatorischen und feministischen Absichten an den Deutschrap wagte. Hierzu sollte man auch dazu sagen, dass ich – anlehnend an Schwarze US-amerikanische Rapperinnen wie Missy Elliott, Lil‘ Kim oder Foxy Brown – die Erste war, die den Begriff „Bitch“ positiv umgedeutet in den Deutschrap einführte.
Es war bei mir nicht so, dass ich mich hingesetzt und überlegt habe, mit welcher Sprache ich am besten via Rap provozieren kann, nein, es war (und ist) meine Natur gewesen, bereits als Teenager offen mit Sexualität umzugehen, Sextalk zu benutzen, perverse Witze zu erzählen und bereits im privaten Umfeld Leute damit zu schocken. Dies habe ich damals dann irgendwann angefangen, in deutschsprachigen Rap zu übersetzen und mein eigenes feministisches Konzept zu erfinden, d.h. meine Absichten waren und sind immer feministisch gewesen.
Lady Bitch Ray
Bild:
Carlos Fernandez Laser
Welche Ziele und Absichten verfolgst du beim Einsetzen von Flüchen und Beschimpfungen in deinen Liedern? Konntest du deine Ziele erreichen?
Den ersten Teil der Frage habe ich schon in der letzten Frage beantwortet. Zum zweiten Teil: Ich würde sagen: Ja, ich habe meine feministischen Ziele durch Rap schon erreicht. Das habe ich nicht gleich bemerkt, als ich öffentlich bekannter wurde, sondern erst mit der Zeit. Und zwar dann, als immer mehr Frauen, Frauen of Color sowie queere und trans Menschen mit Tränen in den Augen vor mir standen und mir offenbarten, dass sie z.B. nur durch meine Musik den Mut hatten, sich vor ihrer Familie zu outen. Oder Frauen, die mir sagten, dass sie meine Musik empowered, sie diese heute noch laut im Auto hören, wenn sie wütend über das Patriarchat sind oder sich von ihrem Freund getrennt haben. Dass ich ihr Vorbild bin.
Heutzutage kommen Frauen zu mir und sagen, dass ihnen meine Bücher geholfen haben, intersektionellen Feminismus überhaupt zu verstehen. Dass sie meine Art, komplexe Dinge vereinfacht zu erklären, super finden. Solche Aussagen sind, finde ich, die größte Anerkennung, die man als Feministin und Musikerin bekommen kann. Daneben zeigt mir die Tatsache, dass aktuell erfolgreiche Rapperinnen, genau das musikalische Konzept verfolgen, welches ich vor zwanzig Jahren etabliert habe, dass ich damals auf dem richtigen Weg war – und/oder wie man so gerne sagt: „meiner Zeit voraus“, ohne damit jetzt arrogant klingen zu wollen.
Du wurdest ja (soweit man von außen beurteilen kann) schon sehr früh mit verbalen Angriffen und Hass im Netzt konfrontiert – magst du vielleicht erzählen, wie deine Erfahrungen mit Hate Speech aussehen?
Als ich öffentlich und einer breiteren Masse bekannter wurde – so in den Jahren 2006, 2007 – gab es überhaupt keine gesellschaftspolitische Debatte oder Problematisierung des Phänomens Hatespeech, Hass im Netz oder sogenannten Shitstorms. Man hatte auch keine konkreten Anlaufstellen, an die man sich wenden konnte, und schon gar keine Möglichkeit, gegen digitale Diffamierung juristisch zu klagen.
Das hat sich mittlerweile (glücklicherweise) zum Positiven geändert, auch wenn noch nicht genug gemacht wird. Ich wurde damals – nachdem ich sozusagen über Nacht via Social Media berühmt wurde – nicht nur auf das Sexuelle reduziert und als „Pornorapperin“ stigmatisiert, sondern derart heftig mit Hass, Sexismus und Rassismus – und zwar aus verschiedenen Lagern – überschüttet, dass ich mir irgendwann überlegte, ob ich das als Künstlerin zu dem Zeitpunkt überhaupt weitermachen kann oder will. Und ich entschied mich, trotz Widerwillens mit Musik aufzuhören, weil dieser Hass auf mich als Frau, die expliziten Sexrap macht, so an meine finanzielle Existenz und psychische Grenzen ging; ich verlor meinen Job als Journalistin und man sagte mir, es sei kein Rap, was ich mache. Hunderte von E-Mails und Briefen wurden an die Universität (an der ich promovierte) oder die Stiftung (die meine Promotion finanziell förderte) geschrieben und aufgefordert, diese „Schlampe zu exmatrikulieren“.
Ich musste ständig meine Kunst erklären und wurde in jeglicher Hinsicht ausgeschlossen. Ich bekam Morddrohungen und konnte irgendwann nicht mehr friedlich auf der Straße laufen, ohne dass mich irgendjemand begrapschte oder anspuckte. Will sagen, ich habe einen Bitchstorm erlebt, den sich viele heute in der Form gar nicht vorstellen können, der Göttin sei Dank!
Wie schätzt du als Künstlerin und Linguistin die Veränderungen des weiblichen Hip-Hop ein: ist es feministischer, diverser oder gesellschaftspolitisch engagierter geworden?
Geschlechtsspezifisch diverser ist Deutschrap in den letzten 20 Jahren auf jeden Fall geworden: es gibt heute mehr sichtbare Frauen (of Color) und auch queere Menschen, die rappen. Einige von ihnen rappen sogar über Sex oder emanzipatorische Inhalte. Hierbei sollte man allerdings nicht außer Acht lassen, dass durch das in Mode Kommen und die Kommerzialisierung von Feminismus mittlerweile auch Männer im Deutschrap gelernt haben, dass man damit Geld machen kann.
Deshalb birgt diese Entwicklung auch die Gefahr, dass feministische oder intersektionelle „Hüllen“ ohne eigentliche authentische Inhalte einen „Lauf haben“. Diese inszenieren Feminismus eigentlich nur, so dass dadurch patriarchalische Strukturen bestärkt werden.
Das ist jedoch nicht nur ein Problem, das nur spezifisch im Milieu des Deutschrap vorkommt, sondern grundsätzlich in kapitalistischen Gesellschaften. Die Folge davon ist dann aber, dass tatsächliche Kritik an patriarchalische Strukturen auf eine nicht so offensichtliche Weise umgangen werden und dadurch auch bestärkt, leider!